Sequels sind im Medium Videospiel ein schwieriges Unterfangen. Viele Spiele, wenn nicht alle, sind schlicht so geschrieben, dass sie nur wenig Raum für eine Fortsetzung lassen. Sie müssen immer abgeschlossen für sich funktionieren, da das finanzielle Risiko stets hoch ist und somit auch die Möglichkeit, dass schlicht der Erfolg zu klein wird um ein Sequel zu ermöglichen. Ein Spiel so zu gestalten, dass es sich auf einen oder mehrere Nachfolger verlässt, um die Geschichte zu Ende zu bringen, endet öfter in Desaster und tragisch unfertigen Storys als in wirklichen Meisterwerken (Shenmue).
Es ist deswegen umso überraschender, dass auch in der Videospielindustrie genauso oft auf Fortsetzungen von den immergleichen Franchises vertraut wird, wie zum Beispiel in der Filmindustrie. Doch wenn man sich all diese Sequels näher betrachtet, fällt einem auf, dass sie nie wirklich richtige Fortsetzungen sind: Sie sind meistens komplett neue, in sich funktionierende Geschichten, die fast nix mit dem Vorgänger zu tun haben, an einem komplett neuen Ort oder sehr weit zeitverschoben, mit keinerlei Konsequenz aus den Ereignissen der vorherigen Teile.
The Last of Us ist das beste lineare Spiel aller Zeiten. Es ist ein Meisterwerk des cineastischen Erzählens in einem Spiel, nie mehr in dem Maße erreicht, wie seit seiner Veröffentlichung im Jahre 2013. Es ist kein spielbarer Film, es ist ein filmisches Spiel, mit einer nahtlosen Vereinigung von simpler und effektiver Interaktivität, cineastischer Inszenierung und einer perfekt durchgeschriebenen Charakterzeichnung von dem Protagonisten Joel Miller. Es funktioniert, von seiner ersten bis seiner letzten Sekunde beinahe makellos und stellt immer noch einen Meilenstein im spielerischen Erzählen dar. Es ist ohnehin sehr mutig, sich an eine Fortsetzung eines solchen Spieles zu wagen. Wo kann Naughty Dog ansetzen, wo kann es erzählen ohne zu entmystifizieren, wo kann The Last of Us Part II ausbauen ohne zu komplex zu werden, wo kann es neue Ideen und Figuren einführen ohne die Welt zu überladen und vielleicht sogar die gewichtige Effektivität des ersten Teiles zu untergraben? Ohne dass sich diese Geschichte so anfühlt, als wäre sie nicht verdient, ohne eine eigene Message, als wäre sie nur angetackert, um die Wünsche der Fans zufriedenzustellen?
Das einfachste wäre gewesen, dass sich Naughty Dog einfach auf eine Fortsetzung mit neuen Figuren setzt, in einem Ort und in einer Zeit völlig entfernt von dem, wo wir Joels und Ellies Geschichte erlebt haben. Oder dass sie eine Vorgeschichte erzählen, ein Prequel, dass den Fans lang ersehnte Momente beschert und sie glücklich stimmt, mit der völligen Sicherheit, ihre Lieblinge nicht einer einzigen Gefahr ausgesetzt zu sehen, da diese in der Zukunft ja leben. Oder vielleicht einfach nur ein simples kleines Abenteuer mit einem bösen Antagonisten, gegen den Joel und Ellie gemeinsam ziehen, einfach nur ein Spiel, dass dem Spieler befriedigende Momente und gemeinsame Zeit mit den Figuren beschert.
Naughty Dog geht anders an The Last of Us Part II heran. Sie überlegen sich, wie sie diesem Spiel eine eigene Bedeutung verleihen können, die aus einer engen Konsequenz der Handlung des ersten Teils geboren wird. The Last of Us Part II ist eine perfekte Fortsetzung: Es ist direkt an den ersten Teil geknüpft, es schafft die Grundstimmungen dieses Spiels einzufangen, aber dabei seine Figuren und auch seine Welt weiterzuführen, weiter wachsen zu lassen. Naughty Dogs Spiel ist eine direkte, kausal verknüpfte Fortsetzung an den ersten Teil, hat aber eine vollends eigene Geschichte zu erzählen, die völlig in sich selbst abgeschlossen funktioniert. The Last of Us Part II ist mutig, es ist komplex, aber gleichzeitig ist es auch tiefgehend liebevoll und bis in seine Spitzen von einer einzigen Message motiviert.
Ausbau und neue Freiheiten
Man sollte aber zuerst, bevor man auf den wichtigsten Aspekt in einem linearen Spiel wie diesem hier eingeht, nämlich die Story, die anderen Aspekte abhandeln, die der gegenüber nur unterstützend wirken. Wie schon beim ersten Teil, ist das Gameplay bei The Last of Us Part II simpel, aber effektiv, dieses Mal sogar erstaunlich weitläufig was freie Spielerentscheidung angeht. Die Level sind viel offener, ohne zu groß zu sein, die Instrumente, die dem Spieler zur Verfügung stehen, sind diverser, genauso wie die Upgrademöglichkeiten. Man kann seinen Charakter freier bauen und verschiebt somit auch sein Spielerlebnis von entweder eher Action-lastig zu schleichend, von Schiessen mit Waffen zu Fallen aufstellen und abwarten. Dabei fühlt sich jede Art von Spielstil absolut geschmeidig an und unterstreicht in jedem Fall auch die sehr ernste und erdrückende Atmosphäre. Das Schiessen ist heftig, laut und explosiv, sodass sich jeder Schuss am Controller anfühlt als hätte man selbst grad eine Pistole in der Hand; das Schleichen ist hervorragend dynamisch und beschert etliche Herzklopfmomente und Atemanhalten. Hier sollte vor allem die KI und Präsentation der Gegner nochmal angepriesen werden: Die menschlichen Gegner sind klug, sie kommunizieren, flankieren und vermeiden es sich normalen Third-Person-Shooter Konventionen zu fügen. Die untoten Gegner sind dementsprechend animalisch und instinktiv, teilweise sehr unberechenbar, was frustrieren kann aber auch ein permanentes Gefühl von Angespanntheit aufbaut. Das Erkunden der Level ist genauso narrativ spannend, wie fast schon spielerisch süchtigmachend, da die Figuren sich nun viel angenehmer und vielseitiger steuern lassen und genauso die Level sehr viel spannender gestaltet sind.
Wenn es beim ersten Teil einen Kritikpunkt gab, dann war das, dass etwas voraussehbare und ausmanövrierbare Gameplay, was sich immer mit der Zeit immer etwas eintöniger angefühlt hat, schlicht weil diese Dynamik in diesem Maße nicht existiert hat. Part II jedoch baut hier aus, schafft es auch die offeneren Passagen in die linearen einzuweben und verpasst dem Spiel ein intensives Gefühl von Realität und Unberechenbarkeit. Vorsichtiges und überlegtes Vorgehen wird belohnt, in jeglichen Spielstilen und lassen das Spiel sich butterweich anfühlen.
Genauso sind die Set-Pieces in lineareren Sequenzen genial inszeniert. Hier übernimmt The Last of Us Part II einen der besten Stärken von Naughty Dogs letztem Spiel Uncharted 4: Die Set-Pieces sind natürlich linear und geführt, aber dennoch wird dem Spieler eine Illusion des Gameplays suggeriert, hinter dessen Fassade zu gucken sehr schwierig ist. Ständig fragt man sich, ob man die lineare Sequenz hätte beeinflussen können, wenn man sich irgendwie anders verhalten hätte. Dies führt im Endeffekt einfach nur dazu, dass das Spiel selbst in gerührteren Sequenzen keinerlei Freiheitsgefühl einbüssen muss. Alle Passagen, egal ob offen, linear oder Zwischensequenz, weben ineinander auf eine so elegante Weise, wie sie nur von Naughty Dog kommen kann.
Durchflutetes Seattle
Visuell behält das Spiel das durchgehende Thema seines Vorgängers. Die Natur und der animalische Instinkt übernimmt die verlassenen Ruinen der Menschlichkeit. Der Hauptspielort Seattle ist wunderschön in seiner Zerstörung, mit unglaublich viel Liebe und Detailverliebtheit gestaltet, so dass jedem, der sich ein wenig Zeit nimmt selbst kleinste Dinge zu betrachten etwas geboten wird, wie verlassene Musikläden wo alte verrostete Instrumente und Musikalben herumliegen, oder ein Hochhaus, wo Regen von einer höheren Etage heruntertropft. Was die reine Präsentation von The Last of Us Part II angeht, spielt das Spiel in der obersten Liga mit, ist vielleicht sogar das bestaussehendste Spiel aller Zeiten, obwohl dies natürlich, in der heutigen AAA-Industrie nur schwierig zu differenzieren ist.
Auch was sein Sounddesign angeht, ist The Last of Us Part II höchste Klasse. Knackscharf, mit teilweise atemberaubender Genauigkeit ertönen Geräusche in der dichten Atmosphäre von Seattle.
Was aber besonders überzeugt ist jedoch zum einen natürlich die sehr zarte Musik von Gustavo Santaolalla, die es an jeder einzelnen Stelle schafft, die emotionale Atmosphäre im Raum perfekt auszuspielen, zu unterstützen und zu elevieren. Zum anderen jedoch, ist es wie Geräusche und Gespräche genutzt werden, um die Gegner der Figuren zu de-antagonisieren, zu vermenschlichen. Jeder Gegner hat einen eigenen Namen, der gerufen wird, falls dieser stirbt, jeder Gegner hat Beziehungen und dementsprechend Gespräche mit anderen. Hunde winseln, wenn ihr Besitzer stirbt, Besitzer weinen und verzweifeln, wenn ihr Hund stirbt. Jeder Gegner fällt nicht einfach tot um sondern versucht sich noch mit aller Kraft an das Leben zu klammern, das ihm gnadenlos aus dem Hals gluckert. The Last of Us Part II ist so lebhaft und echt präsentiert, dass dem Spieler wirklich teilweise Gänsehaut bereitet wird, wenn er einen Gegner tötet, der ihm schlicht im Weg steht. Natürlich wird diese Illusion etwas alt, je weiter man im Spiel voranschreitet, doch wenn man sich drauf einlässt, bereitet das Gameplay gepaart mit dieser Präsentation ein einzigartig heftiges und intensives Spielgefühl, was man so in keinem anderen Spiel mehr finden kann. Dem Spieler wird die Härte von Gewalt aufgezeigt und nicht verweicht und untergraben damit sie «spassig» ist.
Nun werden einige einwerfen, dass dies doch alles keinen Spass machen würde, wenn einem diese gewaltsame Realität so vor Augen geführt wird, dass Spiele doch einem nur Unterhaltung und Freude bieten sollten. Die Realität jedoch ist: Videospiele müssen keinen Spass machen, um gut zu sein. Kunst muss keinen Spass machen, um Kunst zu sein. Kunst ist keine Demokratie. Und The Last of Us Part II geht genau diesen Weg und ist genau deswegen ein Kunstwerk.
Der ewige Teufelskreis des Leidens
Die Fans sind empört genau weil das Spiel ihnen eine einfache Befriedigung verwehrt und ihnen eine kalte Wahrheit aufzeigt. The Last of Us Part II geht Kompromisse ein, eröffnet Konflikte und zeigt Opfer dieser, weil der Fokus hier nicht auf dem spassigen, glückbereitenden Wohlergehen alter Figuren liegt, sondern auf etwas völlig anderem. Wo das originale The Last of Us im Jahre 2013 eine Geschichte der Liebe war, ist The Last of Us Part II eine Geschichte des Hasses. Es erzählt von dem Zyklus der Gewalt, der Rache. Von der Heuchelei des Spielers und von der Konsequenz, die jede egoistische Tat nach sich zieht. Und dieses Grundkonzept ist in jede Faser des Spieles eingewebt.
The Last of Us Part II nutzt, um dem Spieler diese Betrachtung und Message einzubrennen etwas, was nur dem Medium Videospiel verfügbar ist. Es zwingt uns regelrecht dazu, der anderen Seite, die wir absolut verabscheuen, zuzuhören, sich mit ihr zu befassen, oder zumindest ihr Zeit zu geben sich vorzustellen, auch wenn wir das wirklich nicht wollen. Neben Ellie spielen wir nämlich auch die andere Seite, die durch den Charakter von Abby verkörpert wird. Abby ist alles was uns gegenübergestellt ist, was wir hassen und wem wir schaden wollen, aber auch wem wir nie wirklich zugehört haben. Dieses Konzept ist so intensiv aber dabei für jede Art Mensch anders effektiv. Jeder Spieler kann und wird dazu herausgefordert selbst zu entscheiden, ob er Abby nun verzeiht oder nicht, ob er Abby überhaupt zuhört oder nicht.
Dabei muss man sagen, dass diese Spielzeit leider etwas zu lange ausfällt, als dass sie wirklich nötig gewesen wäre um das Argument, den das Spiel zu machen versucht, zu verstehen. Es herrscht teilweise etwas zu wenig aktiver persönlicher Sympathisierung von Abby um diese Spielzeit zu rechtfertigen. Aber eine unglaublich geniale Idee inklusive Umsetzung ist es dennoch.
Was diese großartige und einzigartige Geschichte von The Last of Us Part II leider etwas verwässert sind gewisse Storyelemente und -verästelungen, die nie wirklich den Klimax erhalten, zu dem sie aufgebaut werden. Beispielsweise versandet die Narrative der Sektenfraktion, die «Seraphiten» genannt werden, vollkommen und hinterlässt mehr Fragezeichen als wirkliche Katharsis. Das Spiel hätte definitiv ohne diese Parallelhandlung auskommen können, oder wäre zumindest pointierter gewesen, wenn sie etwas nebensächlicher behandelt und kurz erklärt worden wäre. Diese Parallelhandlung ist die größte, was diesen Kritikpunkt betrifft, es existieren aber noch ein paar kleinere, die ebenfalls etwas die Intensivität der Hauptidee ausdünnen.
Generell gilt also, dass sich The Last of Us Part II ein wenig zu lang anfühlt und deswegen in gewissen Passagen an Effektivität einbüsst. Dies liegt aber definitiv an den zwei vorher genannten Kritikpunkten und auf keinen Fall an gewissen sehr langsamen Charaktermomenten, die eine so weiche emotionale Sanftheit und Subtilität erreichen, dass sie die Figuren ausbauen und nahbar machen, dabei dem Spieler aber nicht jedes Gefühl vorkauen müssen. Naughty Dog kennt seine Figuren bis in ihre hinterletzte Herzfaser, und präsentiert diese so menschlich, so warm und real, dass The Last of Us Part II allein in die kleinsten Momente enorme Emotionen zu verstecken vermag. Keiner schreibt Figuren so wie Naughty Dog, keiner versteckt Tragik und Glück so subtil in Jacken und Gitarrensaiten. Von der ersten Sekunde, bis zum absolut großartigen Ende ist dieses Spiel so frustrierend aber gleichzeitig so verständlich in dieser Frust, so spannend wie fast schon voraussehbar, so emotional, sowohl in seiner Kälte als auch in seiner Wärme.
When you’re lost in the darkness, look for the light
Etwas ist nicht schlecht, nur weil man sich schlecht dabei fühlt während man es spielt. Vielleicht ist das sogar der Sinn davon. Solange es die Grundmotivation erfüllt, was es hier hervorragend gut tut, funktioniert eine Geschichte vollends. Natürlich geht The Last of Us Part II dabei auch Kompromisse ein, deren Rechtfertigung man vielleicht in einem Spoiler-Artikel etwas genauer besprechen müsste.
Man muss immer betrachten was ein Werk erreichen will, nicht wie wohl man sich dabei fühlt. Videospiele, sowie Filme und Serien usw. müssen nicht immer Spass machen, sie können auch mal ernster und trauriger sein.
The Last of Us Part II ist ein Experiment, dass glückt, wenn man sich darauf einlässt und seinen eigenen Bedarf für emotionale Befriedigung zurückstellt für ein Kunstwerk von höherem Wert. Es versagt jedoch, wenn man seine Erwartung nach persönlicher positiver Freude und nach Konventionen des heutzutage leider sehr gängigen, belang- und substanzlosen Fanservices einstellt.
The Last of Us Part II ist die Seite der Geschichte, die wir nicht hören wollen, die aber genauso eine Daseinsberechtigung hat. Die genauso existiert, egal wie sehr wir versuchen sie zu ignorieren. Sie ist das, was wir ausblenden, wenn unsere Helden gewinnen oder verlieren. Das Spiel zeigt uns, wie heuchlerisch wir eigentlich sind in unserer Betrachtung von der Welt, wie unfair wir sind und wie unfair das Leben uns gegenüber auch sein kann. The Last of Us Part II ist traurig, unfair, hart und kalt, doch es vergisst dabei nicht, immer auch noch ein kleines Licht leuchten zu lassen. Und es sagt, dass uns als Menschen nichts anderes übrigbleibt als danach zu suchen. Und ein Spiel welches narrativ so viel Gewicht und Aussage in sich trägt, welches spielerisch das auch noch perfekt untermalt, ist ein Meisterwerk.